


Blake bleibt mitten im Wald stecken, als draußen Wölfe zu hören sind und eine Frau plötzlich vor seinem Auto auftaucht. Was macht er jetzt?
Genre: Fantasy / Mystery
Der Heimweg
von Okt 2025

„Ich melde mich, wenn ich Zuhause bin. Dürfte höchstens eine halbe Stunde dauern. Ich liebe dich.“, beendete Blake den Anruf mit seiner Freundin Fiona.
Am liebsten wäre er bei ihr geblieben, aber sie musste morgen früh zur Uni und ihre Mitbewohnerin hatte sich bereits beschwert, dass er so oft in der WG übernachtete.
In seinem alten Pickup lief leise das Radio. Draußen war der Herbstnebel dicht und die Straße kaum sichtbar. Der Wald, den er gerade durchquerte, wirkte heute besonders düster.
Plötzlich kam Rauschen im Radio. Am Knauf gedreht, um den Sender wiederzufinden, kam nichts. Eine Sekunde den Blick nach unten, wurde es holprig. Sofort trat er auf die Bremse. Was war passiert?
Im Rückspiegel konnte er keine Straße mehr sehen - nur eine Nebelwand. Den Rückwärtsgang eingeschaltet, gab er Gas, aber der Chevy bewegte sich nicht.
Mit einem genervten Seufzer stieg Blake aus, nur um zu erkennen, dass der Wagen stecken geblieben war.
Vielleicht kam an der Straße jemand vorbei, den er um Hilfe bitten könnte? Er holte das Warndreieck unterm Sitz hervor, da ertönte Wolfsgeheul. Gänsehaut breitete sich aus. Das war ganz in der Nähe gewesen und als Futter wollte Blake nicht herhalten. Besser, er blieb doch im Wageninneren.
Sein Handy konnte weder den Standort bestimmen, noch einen Notruf absetzen, da es keinen Empfang hatte. Das Radio ging auch weiterhin nicht. Ausgerechnet im Funkloch musste er stecken bleiben!
Mit einem Mal fielen die Lichter aus. Sofort startete er erneut den Motor und erschrak, als plötzlich eine Frau mit langen ungepflegten Haaren vorm Wagen stand, ohne sich zu regen. Er kurbelte das Fenster einen Spalt nach unten und fragte vorsichtig: „Brauchen Sie Hilfe?“ Hatte die Frau sich im Wald verlaufen? Wurde sie angegriffen?
Es kam keine Antwort. Die Frau starrte ausdruckslos das Auto durch einige Haarsträhnen hindurch an. Blake schloss das Fenster wieder und hoffte, dass seine Batterie lang genug durchhielt.
Nach einer Weile der Stille blickte die Fremde plötzlich in den Himmel. Der junge Mann beugte sich im Sitz vor und folgte ihrem Blick. Der Vollmond kam hinter den Wolken zum Vorschein… und noch ein weiterer Mond? Sah er doppelt?
Als er wieder nach vorne sah, war die Frau verschwunden. Erneut heulte ein Wolf! Es schien, als kam es aus einem der Gebüsche um ihn. Witterte das Tier leichte Beute? War die Frau in Gefahr?
Das schlechte Gewissen plagte ihn, also rollte er die Fenster erneut etwas runter. „Kommen Sie hierher! Ich lasse Sie rein!“ Ob sie es hörte?
Kurz darauf kam etwas Großes aus dem Gebüsch. Der Oberkörper einer menschlichen Frau mit grauem Fell bedeckt, großem Schweif und breiten, muskulösen Hinterläufen und die Schnauze wie ein Wolf. Dazu Kleidung, die wie eine Lederrüstung wirkte. War das die Fremde von eben? Nein, das wäre unmöglich.
Das Wesen fixierte ihn aus reflektierenden goldenen Augen. Noch bevor er den Fensterheber wieder bedienen konnte, sprang ein weiteres dieser Monster knurrend zum gegenüberliegenden Fenster und griff das Glas mit seinen Krallen. Stück für Stück brach die Barriere zwischen dem Wolfswesen und Blake. Die Klauen griffen ins Wageninnere und versuchten, ihn zu fassen. So gut er konnte, drückte er sich an die Fahrertür.
In diesem Moment rammte die Wolfsfrau ihren Artgenossen zur Seite, sodass sie zwischen ihm und dem Truck stand. Es war nicht länger sicher im Wagen. Ohne zu zögern, riss Blake die Tür auf und rannte so schnell er konnte in den Wald. „Scheiße!“, fluchte er. Hinter sich hörte er Knurren und Kampfgeräusche.
Als er sich kurz umsah, stolperte er über eine Baumwurzel und ging zu Boden.
Er drehte sich auf den Rücken, als ihm im Augenwinkel eine Bewegung auffiel. Er fürchtete um sein Leben als die blutüberströmte Wolfsfrau an ihn herantrat.
Am Himmel schob sich eine Wolke vor die beiden Monde. Das Fell fiel vom Wesen ab und darunter wurden Muskeln und Knochen sichtbar, die sich drehten und wandten. Zum Vorschein kam die Frau von vorhin. Die Lederkleidung war überwiegend durch ihre langen Haare bedeckt. Dieses Szenario kam ihm aus Filmen zu bekannt vor. Aber konnte unmöglich die Realität sein!
„Nein… Nein, nein, nein! Es gibt keine Werwölfe.“ Als würden diese Worte die Wahrheit verändern.
Ohne Zögern nahm die Fremde Blakes Hand mit so viel Kraft, dass er sich nicht befreien konnte, und betrachtete einen tiefen Kratzer an seinem Unterarm. Erst jetzt machte sich dieser durch ein Brennen bemerkbar.
Sie schnupperte daran, als wäre sie ein Hund, der eine Spur wittert. „Du wurdest gekratzt“, stellte die Frau fest und ließ ihn los. Anschließend blickte sie sich um und schnupperte weiter. „Das Portal… es ist offen.“
„Was für ein Portal?“
„Das zur Erde… Es muss Jahre her sein, dass es offen war.“ Es klang melancholisch. Sie sah ihm nun in die Augen und wirkte zum ersten Mal anwesend. „Du musst mit mir kommen.“ Wieder ergriff sie seine Hand.
Er versuchte sich zu lösen, doch sie ließ nicht nach. „Ich kann nicht. Ich muss Nachhause. Meine Freundin wartet.“ Jegliches Ziehen seinerseits, löste ihren Griff nicht.
Die Frau hielt ihn ungerührt fest und schüttelte den Kopf. „Das kannst du nicht. Bis zum Ende der Nacht wirst du einer von uns sein.“
Blake hielt inne. Was sollte das heißen „einer von ihnen“? Er betrachtete den Kratzer. An dessen Rand konnte er eine sich ausbreitende Rötung erkennen. Als sei die Wunde entzündet.
Sein Herz raste. Er schüttelte den Kopf. „Das… das kann nicht sein.“
Ihr Blick ging hoch. Der Mond kam wieder zum Vorschein. „Bekämpfe es nicht, sonst tut es nur unnötig weh.“
Nervös stand er mit ihr auf, doch sobald sie lockerließ, riss er sich los und rannte zurück Richtung Auto. Er ließ die Frau mit ihrer grotesken Verwandlung zurück.
Er hatte Herzrasen und schwitzte. Würde der andere Werwolf ihn auch suchen? Er griff sich an die Brust. Jetzt bloß keine Panik bekommen. Behalte einen kühlen Kopf!
Er setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte, den Weg zur Straße zu finden. Gab es denn kein Erwachen aus diesem Albtraum?
Beim Rennen ging sein Atem schneller. Alles fiel ihm schwerer. Als wäre sein Körper unter Wasser. Dumpf war ein Wolfruf zu hören.
Er stützte sich mehr und mehr an den Bäumen, als seine Haut zu jucken begann.
Ein Blick an sich herab fiel ihm auf, dass sich die Haut an seinen Händen zu dunklen Ballen verändert hatte und aus jeder seiner Poren Fell wuchs. Zusätzlich wurden seine Finger länger und aus seinen Nägeln wurden Klauen.
Als hätte man ihm mit einem Baseballschläger gegen die Brust geschlagen und im Stehen beide Unterschenkel gebrochen, ging er in die Knie. Dann begann das Ziehen in den Beinen. Er schrie vor Schmerzen. Aus seinem Schrei wurde langsam ein tiefes Jaulen. Steißbein, Ohren und Zähne zogen und wuchsen. Er krümmte sich und spürte, wie seine Muskeln sich verkrampften und bewegten. Er konnte im Wald immer mehr um sicher herum erkennen. Die Wolfsfrau schien in der Ferne seine Veränderungen abzuwarten.
Ein letztes Heulen gen Mond und seine neue Form war vollendet. Schwarzes Fell, ein buschiger Schweif, der hin und her schwang, und große starke Hinterläufe. Seine Klamotten lagen in Fetzen am Boden. Selbst die Chucks hatten die Verwandlung nicht überstanden.
Die Wölfin trat an seine Seite. „Du kannst nicht zurück.“, hallte ihre Stimme in seinem Kopf. „Mit dem Fluch würdest du deine Liebsten gefährden.“
Blake spürte eine Gänsehaut und konnte sehen, wie sein Fell sich aufstellte. War er gestorben und das hier seine persönliche Hölle? Er wollte nur zu Fiona. Sie küssen, umarmen, ihr Lächeln nochmal sehen… doch nicht in diesem monströsen Körper. Er betrachtete seine großen messerscharfen Krallen und alles andere an sich.
Die Frau hatte sich zwischen den Monden zurückverwandelt. Das würde auch ihm passieren, oder? Ohne ein Wort, rannte er los.
Dieser eine kleine Kratzer hatte ihn binnen Minuten in einen Werwolf verwandelt und sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Aber seine Freundin sollte wissen, dass er sie nicht einfach verließ.
Am Truck lag der andere Werwolf in einer Mischung aus Blut und Glasscherben am Boden. Das überraschte den Flüchtenden und lenkte ihn lange genug ab, sodass die Frau ihn einholte und sich knurrend zwischen ihn und eine dichte Nebelwand stellen konnte. Hier war also tatsächlich das Portal.
Er erwiderte ihr Knurren und bereitete sich auf einen Angriff vor. Mit dem Hinterlauf kam er dabei an den leblosen Körper.
Der Blick der Wölfin ging zur Leiche des zweiten Wolfs. Blake nutzte den Moment, um an ihr vorbeizusprinten. „Was, wenn du so wie jetzt bleibst, sobald du durch den Nebel gehst?“, fragte sie.
Er hielt inne. Die Wolfsfrau ging zu dem Toten und strich diesem sanft und liebevoll über den Kopf.
„Ich kam auch von der anderen Seite. Kartak hat mich damals beschützt. Doch sobald er mit mir zur Erde ging, konnte er sich nicht mehr wandeln und war in dieser Form gefangen.“ Sie ging neben diesem in die Hocke und streichelte weiterhin durch sein Fell. „Er hoffte, die Verwandlung durch die Rückkehr ungeschehen zu machen… Aber es änderte sich nichts. Ich blieb also an seiner Seite sein, als sich das Portal schloss.“
Sie klang so traurig und aufrichtig, dass er ihr glaubte.
„Wieso hast du ihn getötet?“
„Seit Jahren ist er in dieser Form gefangen gewesen und heute hat ihn seine wölfische Seite überwältigt. Davon gibt es kein Zurück. Ähnlich der Tollwut, kennt man dann nur noch Raserei.“
Er spürte, wie ihm kalt wurde. Das Fell fiel von ihm ab. Wolken waren aufgezogen und hatten die Monde verdeckt, schon konnte er mit einer gewissen Distanz die Veränderung zurück wahrnehmen, diesmal ohne Schmerzen.
Wieder als Mensch hob er die Hand und wollte durch das Portal hindurch, als der Nebel sich in Luft auflöste. Es hatte sich geschlossen. Der Heimweg wird doch länger als erwartet…
